Da waren es nur noch fünf

Die internationalen Naturschutzorganisationen haben das nördliche Breitmaulnashorn schon abgeschrieben. Fünf Tiere der Art leben jedoch noch, einige Gene lagern in den Kühlkammern des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.

Was vom nördlichen Breitmaulnashorn übrigbleibt, sind seine Gene. Dreizehn Zelllinien von Ceratotherium simum cottoni haben Thomas Hildebrandt und seine Kollegen in den Kühlbehältern des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin eingefroren. Hildebrandt leitet dort die Abteilung Reproduktionsmedizin. Und wenn er machen könnte, wie er will, würde er den noch lebenden Kühen des nördlichen Breitmaulnashorns Eier entnehmen und einfrieren.

Wenn er und sein Team dann mit den Eiern der südlichen Breitmaulnashörner erforscht hätten, wie Breitmaulnashörner im Reagenzglas gezeugt werden, würde er die Eier mit den Spermien aus den Kühlkammern in Vitro verschmelzen und die Embryonen einer Leihmutter von den südlichen Breitmaulnashörnern einpflanzen. Eventuell könnte das nördliche Breitmaulnashorn so der Nachwelt erhalten bleiben.

Doch soweit ist es noch nicht. Die Forschung an nördlichen oder südlichen Breitmaulnashörnern gehört in Deutschland nicht zur Grundlagenforschung. Deshalb hat Hildebrandt bislang keinen Geldgeber für die Rettung der Nashörner gefunden.

Für die Eiabnahme in Frage kommen noch zwei Tiere auf der Wildtierranch Ol Pejeta in Kenia. Ihre einzigen noch lebenden weiblichen Verwandten in den Zoos von San Diego in Kalifornien und Dvur Kralove in Tschechien sind zu alt. Die nördlichen Breitmaulnashorn-Weibchen Fatu und Nijan auf der kenianischen Wildtierranch produzieren Eizellen, werden selbst jedoch keine Nachkommen mehr zeugen, wie Artenschützer jahrelang prophezeit hatten.

Die beiden Nashornkühe haben Zysten in den Gebärmüttern, fanden Thomas Hildebrandt und sein Kollege Robert Hermes bei einer Visite in Kenia im Frühjahr 2015 heraus. Die Hüftknochen der beiden Nashörner sind außerdem zu brüchig, um ein Kalb auszutragen. Schwach auf den Beinen ist auch ihr Lebensgefährte Sudan, er kann schon länger nicht mehr zur Kopulation auf den Hinterbeinen stehen. (Im März 2018 wird er eingeschläfert.)

Die drei Tiere gehören dem tschechischen Zoo Dvur Kralove und leben seit Dezember 2009 in der privaten Wildtierranch Ol Pejeta. Dorthin verfrachtet hatten sie die Artenschützer aus dem international besetzten „Rettungsprojekt für das nördliche Breitmaulnashorn“. Die Organisationen hatten gehofft, dass die Tiere sich in ihrem natürlichen Lebensraum mit Auslauf in der Savanne auch wieder natürlich vermehren würden. In den Zoos der Welt hatten die nördlichen Breitmaulnashörner 1998 aufgehört, sich fortzupflanzen. Zwischen 1980 und 2000 waren fünf nördliche Breitmaulnashörner in Gefangenschaft geboren. Dann war Schluss.

Artenschützer haben das nördliche Breitmaulnashorn schon lange aufgegeben

„Selbst wenn die vier lebenden Kühe Nachkommen produzieren könnten, wäre die Gefahr der Inzucht groß“, sagt Rob Brett, Rhinozeros-Experte der britischen Organisation Flora Fauna International (FFI). FFI gehört zu der Gruppe aus internationalen Naturschutzorganisationen, Zoos und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, die seit Jahren über die Rettung des nördlichen Breitmaulnashorns im „Rettungsprojekt“ reden.

Brett hat nun ebenso wie die Artenschützer der einflussreichen Organisation IUCN das nördliche Breitmaulnashorn aufgegeben.  „Wir haben eine Punkt erreicht, an dem wir nicht wirklich eine Wahl haben, (…) als zu versuchen, die nördlichen und die südlichen Breitmaulnashörner zu kreuzen, um einige Gene des nördlichen Breitmaulnashorns zu erhalten, um später evolutionäre Anpassungen an wilde Habitate zu erreichen,“ schreiben die Zucht- und Artenschutzexperten von IUCN. Die einflussreiche Organisation gibt im Artenschutz weltweit den Ton an und ist vor allem berühmt für die Roten Listen der bedrohten Tierarten. Auch IUCN ist am „Rettungsprojekt nördliches Breitmaulnashorn“ beteiligt.

Rob Brett spricht bei der Art nur noch von einem „ecotype“, einem an ein Ökotop angepassten Typus. Ein „Ökotyp“ bezeichnet in der Biologie nicht einmal eine Unterart. Bretts Argumentation zufolge wäre das nördliche Breitmaulnashorn nur eine geografische Variante des südlichen Breitmaulnashorns. Und davon leben schließlich noch 16.000 bis 20.000 Tiere.

Das nördliche und das südliche Breitmaulnashorn unterscheiden sich mindestens zu vier Prozent in ihrem genetischen Material

Die Gleichsetzung der beiden Nashörner ist wissenschaftlich nicht zu halten. Das nördliche und das südliche Breitmaulnashorn unterscheiden sich zu mindestens vier Prozent in ihrem genetischen Material voneinander. Das ist in etwa der Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen. Brett und die IUCN Nashornretter wollen also, dass eines Tages die Gene der nördlichen Breitmaulnashörner in die der südlichen eingekreuzt werden. Die Hybride hätten dann ein paar Eigenschaften der nördlichen Art und wären eventuelle besser an den Lebensraum der Nördlichen angepasst. Der Vorteil aber ist: Die Kreuzungen können auch nach dem Ableben des letzten nördlichen Breitmaulnashorns geschehen, wenn Gras über das Verschwinden der Art gewachsen ist.

„Mit der Erklärung zur Unterart suchen die Verantwortlichen den Notausgang“, sagt Robert Hermes. Er drängt zur Eile. Denn um die Art der nördlichen Breitmaulnashörner zu erhalten, müssten Eizellen der noch lebenden Tiere entnommen werden. Die Herabstufung der letzten nördlichen Breitmaulnashörner zu einem Ökotyp würde das Aussterben jedoch als einen nicht so bedeutenden Verlust für die Tierwelt darstellen. Denn der Exodus des nördlichen Breitmaulnashorns dokumentiert das Versagen von europäischen und amerikanischen Naturschützern. „Sie diskutieren es tot“, sagt einer der deutschen Beteiligten am Rettungsprojekt.

Die internationalen Naturschutz-Organisationen verdienen Geld mit der Bedrohung und mit der Rettung von Tieren

„Der klassische Artenschutz hat versagt“, sagt auch Mediziner Thomas Hildebrandt. „Die verantwortlichen Organisationen haben nicht erkannt, dass nach zwei Jahren der Versuch in Ol Pejeta gescheitert war.“ Damals lebte sogar noch Bulle Suni, der im November 2014 plötzlich tot in seinem Stall lag. Doch die Vertreter von Naturschutzorganisationen folgen ihren eigenen Machtinteressen. Vor allem die international tätigen Organisationen verdienen Geld mit der Bedrohung und mit der Rettung von Tieren und Lebensräumen.

Spenden bekommen die Organisationen vor allem für die Rettung. Die britische FFI wirbt auf ihrer Internetseite noch heute um Spenden für das nördliche Breitmaulnashorn mit der Aussage: „Hope remains“.  Demnach gebe es noch Hoffnung, dass die Tiere sich „natürlich vermehren“. Das war bisher die Strategie von Rob Brett und FFI, die dafür gesorgt haben, dass die Breitmaulnashörner in das Camp von Ol Pejeta kommen.

In derartigen Wildtierranches und Gebieten verdienen die internationalen Naturschutzorganisationen Geld, indem sie zahlungskräftige Gäste in den Wildtiercamps bewirten und Tiere zeigen. Die privaten Betreiber der Ol Pejeta Ranch werben dann auch gern damit, dass Besucher dort die „once in a lifetime opportunity“ haben, die letzten nördlichen Breitmaulnashörner zu sehen. Die ebenfalls an der Rettung der nördlichen Breitmaulnashörner beteiligte Organisation IUCN wirbt ebenfalls noch heute für einen Besuch des von ihr geförderten Garamba Parks im Kongo. Denn: „Der Park enthält wahrscheinlich die letzte lebensfähige Population der nördlichen Breitmaulnashörner.“ Nach Zählung der IUCN leben dort noch 23 Tiere. Das wäre eine Sensation. Und die bringt Geld.

Der Text ist im März 2015 in der taz, die tageszeitung erschienen.

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