Ein geplantes Pumpspeicherwerk im Kreis Lippe sorgt für Ärger. Ist sauberer Strom wichtiger als intakter Wald und wilde Tiere?
LÜGDE/ DETMOLD taz | Auf dem Luftbild von Frau Dr. Röder erscheint das Pumpspeicherwerk als Halbkreis mit Delle. Daumengroß, mit Leuchtstift hervorgehoben in einem weiten Feld von Grün, fast unscheinbar auf der tischdeckengroßen Karte, die Ute Röder auf dem Besprechungstisch ausbreitet. Das Grüne ist der Schwalenberger Wald, der unter dem Schutz der europäischen FFH-Richtlinie steht. Früher hat Röder da mal für die Erhaltung der Natur gearbeitet. Jetzt leitet sie den Fachbereich Umwelt und Energie der Kreisverwaltung Lippe in Detmold und muss „eine Abwägung vornehmen“, wie sie sagt.
Sie muss in einem möglichen Planfeststellungsverfahren entscheiden, ob sie die wirtschaftlich-politischen Ziele der Kreisverwaltung für eine Energiewende wichtiger findet als europäisches Naturschutzrecht, Wald und wilde Tiere. „Kammmolch gegen Kilowatt“, fasst Berthold Lockstedt den Konflikt zusammen, für den er als Abteilungsleiter Energie, Boden, Wasser in der Kreisverwaltung zuständig ist.
Röder glaubt, dass geschützte Tierarten im Schwalenberger Wald wie der Kammmolch und seltene Libellen wie die Nordische Moosjungfer umgesiedelt werden können. Die Natur wäre in dem Planspiel technisch beherrschbar, der Konflikt gelöst, und Landrat Friedel Heuwinkel könnte seinem Kurs „Mit Hochtief auf der Energiespur“ folgen.
Ute Röder sitzt auch im Krisenstab des Kreises Lippe, das AKW Grohnde steht hinterm Hügel. Sie fürchtet, dass „das Licht ausgehen könnte“, und will vorsorgen für eine Zeit ohne Atom. „Früher habe ich gegen den AKW-Bau demonstriert“, sagt Röder und lächelt. Heute muss sie die Atomkraft abwickeln.
Ihr Kollege Lockstedt war früher für Kernkraft. Nun managt er das Ziel, den Kreis 2020 zu 30 Prozent mit Strom aus Windenergie zu versorgen. Bei 14 Prozent sind sie bereits. Damit die erneuerbaren Energien vorankommen, hat der Kreis mit den Stadtwerken Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen die Lippe Energie Verwaltungs GmbH gegründet. „Zu unserem strategischen Ziel gehört das PSW als Speichertechnik dazu“, sagt Lockstedt.
Wasser soll die Energie aus Windrädern speichern
Das „PSW“ ist das Pumpspeicherwerk auf dem Mörth, wie die Menschen von Lügde den Höhenzug im Schwalenberger Wald nennen. 440 Meter hoch, an den Hängen mit Buchen und Eichen bestanden. „Geschützte Lebensraumtypen“, sagt Röder. Die gibt es in dem Modell-Pumpspeicherwerk im Flur der Kreisverwaltung nicht.
Auf dem hellgrün getupften Teppich steht dort unter Plexiglas ein Hügel, in den ein waschbeckengroßes Loch eingelassen ist. In Wirklichkeit wären darin 2,7 Millionen Kubikmeter Wasser aus der Emmer, das durch Rohre den Hügel hinabrauscht, durch Generatoren sprudelt, Strom erzeugt und im unteren Becken aufgefangen wird. Im Lipper Land sind dort Felder und Weiden. Jedes Becken wäre samt Betriebsgelände 30 Hektar groß.
320 Megawatt soll das PSW Lippe erzeugen, indem das Wasser mit billigem oder gerade überschüssigem Strom der Energiewende den Berg hinaufgepumpt wird und dann bei Bedarf wieder abwärts durch die Generatoren schießt. Rauf und runter – umgekehrt zum Preis an der Strombörse. Theoretisch ist ein PSW der kostengünstige Partner der erneuerbaren Energien, denn ist es einmal gebaut, hält es 100 Jahre oder länger.
Praktisch produziert Deutschland so viel Strom aus Wind, Kohle, Atom, Sonne, dass der Preis für eine Kilowattstunde im Keller liegt. „Jetzt ein Pumpspeicherwerk zu bauen kommt ökonomischem Harakiri gleich“, sagt deswegen ein Manager der Erneuerbare-Energien-Branche. In den nächsten 20 bis 30 Jahren brauche niemand Pumpspeicherwerke. Die Energiewirtschaft setze gerade auf kleine Speicher und große Batterien, deren Entwicklung das Bundeswirtschaftsministerium fördert.
Das Pumpspeicherwerk werde zu „nahezu keiner visuellen Beeinträchtigung“ führen, steht auf einem Kärtchen am Modell in der Kreisverwaltung. Andere erklären, dass die „Triebwasserleitung unterflur“ liegen werde und die „Energieableitung“ mittels Erdkabel geschehe. Und über allen prangt: „Mit Hochtief auf der Energiespur“.
Landkreis und Industrie in freundlicher Partnerschaft
Das ist die Hochtief Solutions AG in Essen, die über ihre Töchter Hochtief Infrastructure GmbH und Hochtief PPP Solutions GmbH die PSW Lippe GmbH im Handelsregister beim Amtsgericht Lemgo eingetragen hat. „Wir haben Optionsverträge mit privaten Grundstückseignern in Lügde für die Kerngrundstücke“, sagt Peter René Jamin, Geschäftsführer der PSW Lippe GmbH, die „on hold“ sei. Die Projektgesellschaft ruht. Dass sich Pumpspeicherwerke gerade nicht lohnen, weiß auch Jamin, er leitet den Bereich Entwicklung Energieprojekte On-Shore der Hochtief PPP Solutions GmbH.
Mit der Hochtief Solutions AG hat Landrat Friedel Heuwinkel im Juli 2013 eine „Partnerschaftsvereinbarung Pumpspeicherwerk Lippe“ geschlossen. Darin verpflichtet sich der Kreis, die „umweltrechtlichen Fragestellungen“ zu bearbeiten. Konkret: „Ziel ist insbesondere die Herauslösung des Oberbeckenstandortes aus bzw. die Zulassung in dem FFH-Gebiet.“
In Paragraf 6 verpflichtet sich der Kreis Lippe zu „jede[r] ihm mögliche[n] Hilfestellung“, um die gesicherten Grundstücke „auf die Projektgesellschaft zu übertragen, soweit dies zur Errichtung des Pumpspeicherwerks notwendig ist“. Die Hochtief Solutions AG übernimmt die „Gründung und Administration der Projektgesellschaft“ und die „wirtschaftliche Planung des Projektes“. Kreis und Unternehmen vereinbaren beide das „Einwerben von Partnern und Investoren“. Alle Rechte aus der Vereinbarung gehen auf die Projektgesellschaft über.
„Eine Unverschämtheit ist das, wenn uns nun ein PPP unterstellt wird“, erregt sich Berthold Lockstedt. „Wirklicher Quatsch“, brüllt er im Büro von Frau Dr. Röder. Eine „Kooperationsvereinbarung“ hätten sie getroffen, nachdem Hochtief 2012/2013 auf den Kreis zugekommen sei. „Sie haben uns gefragt, ob wir sie als Verwaltung unterstützen“, sagt Lockstedt, wieder gefasst. „Kontakte schaffen“, ergänzt Röder, die schon damals den FFH-Status als eine „nicht unüberwindbare Hürde“ angesehen hat.
Der „sozio-ökologische Störfaktor“
PPP heißt Public-private-Partnership und bedeutet, dass öffentliche Hand und ein privates Unternehmen einen Vertrag schließen, das Unternehmen dann etwas baut, ein Krankenhaus oder ein Freizeitbad etwa, das die öffentliche Hand nutzt und dafür an das Unternehmen zahlt. Die rechtlichen Konstruktionen von PPP sind schwer zu durchschauen und nicht eindeutig definiert.
Theoretisch soll die öffentliche Hand damit Geld sparen, doch laut Landes- und Bundesrechnungshöfen zahlen die Steuerzahler meistens drauf. PPP rechnet sich vor allem für den privaten Partner. In Nordrhein-Westfalen ist Lippe eine PPP-Modellregion, hat doch Landrat Heuwinkel schon die Lipperlandhalle des Handball-Profivereins Lemgo in öffentlich-privater Partnerschaft ausgebaut und die Instandhaltung von 435 Kilometer Straße an eine Privatfirma übertragen. Dafür bekam er den „Innovationspreis PPP 2010“ vom Verwaltungskongress „Effizienter Staat“.
Für Kammmolch, Schwarzstorch und die 15 Wildkatzen auf dem Mörth spielt die Rechtskonstruktion gar keine Rolle. Wenn es nach Ilona und Uwe Kock aus Lügde geht, wird das Pumpspeicherwerk daher nie in das Naturschutzgebiet hinter ihrem Haus gebaut. Sie gehören zum „sozio-ökologischen Störfaktor“ wie Peter René Jamin von der PSW Lippe GmbH den potenziellen Widerstand nennt. In Lügde schätzte Jamin ihn einst gering genug ein, um zu planen. Denn die Region veraltet. Kürzlich haben zwei Baufirmen geschlossen, Holländer haben am Fuße des Mörth Dauer-Campingplätze, im Gasthaus „Zum Forst“ schenkt der „Swinger-Club 59“ aus.
Güterzüge, Windräder, Südlink vergrämen die Leute
Das Ehepaar Kock ist allerdings unbequem, denn nach den Recherchen von Uwe Kock kam die Partnerschaftsvereinbarung zwischen Kreis und Hochtief ans Licht. Beharrlich, das freundliche Gesicht von grauen schulterlangen Locken umspielt, löcherte Kock die Kreisverwaltung so lange, bis er die Vereinbarung, von der er gehört hatte, unter Aufsicht einsehen durfte. Notizen durfte er sich machen. Uwe Kock hat die sechs Seiten abgeschrieben. „Wir haben dann so lange Krach geschlagen, bis sie die Vereinbarung ins Netz gestellt haben“, sagt Ilona Kock.
„Bevor die Lügder auf die Barrikaden gehen, muss was passieren“, sagt Heinz Reker, mit 93 Prozent wiedergewählter Bürgermeister von Lügde. Gegen die Hochspannungstrasse Südlink gehen die Leute auf die Barrikaden, wie Reker das noch nie erlebt habe.
Das PSW ist nur eines von vier Großprojekten, das Sorgen bereitet. Südlink soll die Gemeinde überspannen, 97 Windräder sollen für Lippes Energiewende gebaut werden, die Bahngleise zur Haupttrasse für Güterverkehr werden. Alle neun Minuten würden dann Güterzüge durch Lügde donnern. „Dann kann mein Nachfolger den Ort abwickeln“, sagt Reker. Das alles sind auch Gründe, weshalb Grundstücksbesitzer ihre Flurstücke gern verkaufen könnten. Man hört, dass Hochtief das Sechs- bis Achtfache der üblichen Preise zahlen will.
Ein renitenter Bürgermeister
„Geld ist für mich der allerletzte Aspekt“, sagt Bürgermeister Reker, der auf dem Mörth gern mit dem Mountainbike herumfährt. Seine Gemeinde müsste im noch ausstehenden Planfeststellungsverfahren dem Bau zustimmen. „Da will ich erst mal den Nachweis, dass wir in Zukunft ein PSW brauchen und warum hier.“
Vor Kurzem hat Reker die Lügder schon einmal hinter den Barrikaden zusammengebracht. Sie standen vor der Frage, ob sie den Ortskern sanieren oder aufgeben, durch den bis zur Untertunnelung täglich 14.000 Laster und Autos gebraust waren. Sie haben diskutiert, gerechnet, abgewogen. „Da kam so ein Wir-Gefühl auf“ sagt Reker. „Die Leute finden jetzt, dass es richtig war, es nochmal zu versuchen.“ Auf dem Marktplatz sprudelt nun Wasser, Stadtmauer und Fachwerk zeugen von Lügdes alter Größe, im neuen Park an der Emmer können die Leute Beach-Volleyball spielen und Schulklassen machen Ausflüge nach Lügde.
Die Reportage erschien im Juni 2015 in der taz, die tageszeitung. Online finden Sie die Geschichte hier